agilecircle hat am IBM Watson Summit 2017 teilgenommen. Neben der Schilderung unserer Eindrücke von der Veranstaltung möchten wir Ihnen auch einige grundsätzliche Erwägungen zum Thema erläutern.
Von besonderem Interesse sind für uns Ideen und Ansätze, wie sich kognitive Systeme und künstliche Intelligenz im Rahmen von Softwareentwicklungsprojekten einsetzen lassen. Um es vorweg zu nehmen: Auf diese Frage haben wir keine direkte Antwort erhalten. Jedoch haben wir viel gelernt in Bezug auf mögliche Use-Cases, neue Denkmuster und Ausblicke auf eine sich weiter verändernde Welt. Diese liefern uns auch Anregungen, wie sich zukünftig Softwareentwicklung und Projektmanagement verändern kann.
Disruption durch kognitive Systeme
Kognitive Systeme und künstliche Intelligenz haben das Potenzial, Business und Gesellschaft massiv zu verändern. Ähnlich wie die global spürbaren Auswirkungen der Industrialisierung zu Beginn des 20. Jahrhunderts, die Entwicklung der Computer seit Beginn der 1960er Jahre und die Einbindung des Internets in unser tägliches Leben – insbesondere verstärkt durch die unbegrenzte Verfügbarkeit mit Hilfe von mobilen Geräten – werden kognitive Systeme starke disruptive Kräfte entwickeln. Unsere berufliche und private Welt wird sich massiv wandeln. Es gibt kaum Bereiche, die von diesen disruptiven Kräften verschont bleiben werden.
Diejenigen, die heute behaupten, dass sich diese neuen Ansätze nicht durchsetzen werden, seien auf ähnliche Aussagen verwiesen, die zu Beginn der oben genannten Veränderungswellen getroffen wurden. Immer waren es Aussagen wie:
- “das ist nur für wenige interessant!”
- “das ist nur etwas für Reiche!”
- “das wird immer zu teuer bleiben!”
- “das kostet Arbeitsplätze!”
- “das ist ethisch nicht einsetzbar!”
Obwohl diese Aussagen meistens durch die Realität widerlegt wurden, sind diese Bedenken im jeweiligen Kontext zunächst berechtigt und entsprechend ernst zu nehmen. Dennoch gilt es, sich aktiv mit diesen Themen auseinander zu setzen. Viele Beispiele der Vergangenheit haben gezeigt, dass es keine gute Idee ist, sich auf alt Bewährtes zu stützen und die Zukunft auszublenden. Der Niedergang von Kodak sollten Mahnung genug sein.
Use Cases
Es gibt bereits heute einige sehr spannende Ansätze für den Einsatz von kognitiven Systemen. Auf dem Summit wurden diese natürlich auf Basis von IBM Watson präsentiert. Die Beispiele kamen aus verschiedenen Branchen wie Wirtschaftsprüfung, Telekommunikation, Handel, Transport und Industrie. Eingesetzt werden die Systeme z. B. zur hochgradigen Automatisierung von Vertragsanalysen, Fehlererkennung in Stoffen, in Kundenservice und Kundenberatung. Grundsätzlich wird der Nutzen der Systeme deuist tlich, wenn man die zunehmende Menge verfügbarer Daten – die zumeist unstrukturiert sind – analysieren möchte, um daraus Potenziale für Effizienzsteigerungen abzuleiten.
Es wurde deutlich, dass die neue Technologie ganz neue Ansätze für Geschäftsmodelle eröffnet. Durch die bisherige Unmöglichkeit der Auswertbarkeit und Nutzbarkeit von unstrukturierten Daten bieten sich Chancen, Unternehmen neu auszurichten. Mustererkennung und Reizwahrnehmung bieten Möglichkeiten, revolutionäre Ideen umzusetzen. Mit Daten Geld zu verdienen wird damit zunehmend zum Schlüssel für den Erfolg von Unternehmen. Dazu gibt es eine interessante Studie.
Innovationsfähigkeit
Wie aber kommt man zu diesen Ideen und Ansätzen? In der Regel wird die gewöhnliche Vorgehensweise, Innovation in einen Prozess zu zwängen, nicht dazu führen, dass die Menschen in einem Unternehmen disruptiv denken. Oftmals führt die Strukturierung von Innovation genau zum Gegenteil: zur Stärkung der Beharrung einer Organisation. Dies dürfte auch einer der Gründe dafür sein, dass in Deutschland die letzten großen Entwicklungen verschlafen wurden. Grundsätzliche neue Geschäftsmodelle kamen bekanntlich aus anderen Ländern. Insbesondere das Silicon Valley hat hier eine herausragende Stelle. Weil dort Risikoaversion ein Fremdwort ist, weil viel grundsätzlicher Neues gedacht wird, Bestehendes immer wieder viel stärker hinterfragt wird.
90% aller Start-ups im Silicon Valley floppen. Das führt aber eben nicht dazu, dass es weniger Start-ups gäbe. Viele unterscheiden sich zwar nur durch kleine Abweichungen in den Geschäftsmodellen und Produkten. Aber alle arbeiten dafür, einer von 10 Fröschen in einem Teich mit 1.000 Kaulquappen zu werden. Es ist überhaupt nicht vorhersehbar – nicht einmal für Watson – welches Start-up letztlich aus dem Teich hüpft, um die Welt zu erobern. Dennoch gibt es immer wieder neue Versuche, Technologie zu entwickeln oder einzusetzen, um ganze Business -Bereiche zu eröffnen.
In bestehenden Unternehmen gibt es in Abhängigkeit von der Größe immer mehr oder weniger ausgeprägte Strukturen, Abläufe, Prozesse und Regeln. Dieser Rahmen führt dazu, dass Innovation sich nicht frei entfalten kann. Wenn also – insbesondere deutsche – Unternehmen bei der nächsten massiven Veränderung der Business-Modelle vorne sein möchten, hilft es nicht zu versuchen, den Vorsprung anderer Zivilisationen einzuholen. Wir müssen diese Entwicklungen als Sprungbrett nutzen, um Vorreiter zu werden, um die Anderen zu überholen.
Das setzt voraus, dass wir uns die Lage versetzen, kognitive Systeme zu treiben, zu entwickeln und zu beherrschen. Damit muss zum Einen innerhalb der Unternehmen eine Kultur geschaffen werden, die das Neue nicht herabwürdigt und untergräbt, sondern vielmehr fördert – aber eben nicht durch Prozesse und Anleitung, sondern durch Vertrauen und Risikobereitschaft. Die Frage nach dem monetären Nutzen einer Idee verbietet sich in den Anfangsstadien von Innovation. Natürlich muss man vor einer Investition auch nach möglichen Erträgen und Erfolgen fragen. Aber jeden Gedanken zu verwerfen, bei nicht von vornherein ein positiver Business Case nachgewiesen werden kann, bedingt Stagnation, Frustration und Beharrung. Letztlich den Niedergang eines Unternehmens.
Zum Anderen muss die Bildung entsprechend ausgerichtet werden. Heute besteht Informatik-Unterricht an Schulen hauptsächlich aus Übungen im Umgang mit Standardprogrammen. Die Vermittlung von Programmierkenntnissen erfolg praktisch nicht. Der heutige Schulstoff ist nur sehr begrenzt geeignet, den Anforderungen gerecht zu werden. Das ist kein Zukunftsthema. Wenn wir den Überholvorgang erfolgreich beenden wollen, müssen schleunigst entsprechende Änderungen im gesamten Bildungsbereich erfolgen.
Drittens müssen derartige große Veränderungen gewollt werden. Angriffe auf bestehende Modelle, Technologien und Prozesse setzen ggf. Abwehrmechanismen auf allen Ebenen eines Unternehmens und in der Gesellschaft frei. Dabei sollte jedem bewusst sein, dass die Vermeidungsstrategie selten funktioniert hat. Die Abwehr hat verschiedenste Motive, die stark von den handelnden Personen abhängen. Die Angst um Arbeitsplätze und die Angst vor dem Verlust von Macht und Einfluss wirken sich fast immer auf die Innovationsfähigkeit eines Unternehmens aus. Daraus resultiert der Vorteil von Start-ups gegenüber “gewachsenen” Strukturen für die Schaffung neuer Geschäftsmodelle. Das Unternehmen muss deshalb Denk-Freiräume schaffen, bereit sein, ggf. auch Dinge zu verwerfen, flexibel sein für die Bereitstellung von Ressourcen und Mitteln. Wer etwas voran treiben möchte und als erstes nach der Kostenstelle gefragt wird, auf die ein etwaiger Aufwand gebucht werden soll, wird sofort demotiviert. Im schlechtesten Fall trägt er die Idee zu einem anderen Unternehmen.
Viertens muss ein Unternehmen bereit sein, den Entwicklungen des Arbeitsmarktes Rechnung zu tragen. Unternehmen müssen sich um qualifizierte Mitarbeiter bewerben. Und für diese Mitarbeiter auch adäquate Gegenleistungen bieten. Der Konkurrenzkampf um die besten Köpfe für das Vorantreiben der Digitalisierung ist im vollen Gange. Und dennoch gibt es noch Unternehmen, die aufgrund alten Denkens immer noch daran festhalten, Mitarbeiter nur als Ressource zu sehen.
Zudem müssen Unternehmen viel mehr als bisher kooperieren, um sich gegenseitig zu unterstützen im globalen Wettlauf. Dabei werden sich Fertigungstiefen verringern und interne Prozesse verlagern. Die Wertschöpfungsketten müssen sich ergänzen. Das wiederum sind auch Voraussetzungen, damit sich Unternehmen schnell anderen Rahmenbedingungen aussetzen können.
Ansätze für Disruption
Inhaltlich ergeben sich disruptive Ansätze z. B. aus der folgenden Aspekten:
- Die Gesellschaft altert zunehmend. Dies bietet z. B. Chancen im Bereich der personal assistence für Menschen, die Unterstützung im täglichen Leben benötigen.
- Die Menschen streben immer weiter nach Convenience. Es wird also weitere Chancen geben, das Leben so bequem wie möglich zu machen. Dies betrifft alle Bereiche, in denen heutige “nervige” Aktivitäten erwartet oder erzwungen werden oder die Bereitstellung, Aufbereitung und Nutzung von Informationen.
- Die Ansprüche an Güte und Qualität von Produkten und Dienstleistungen steigen weiter. Die weitere Automatisierung von Produktions- und Qualitätssicherungsprozessen wird durch kognitive Systeme erst möglich. Dienstleistungen – insbesondere repetitive – können massiv vereinfacht werden und beschleunigt werden.
Ausblick
Kognitive Systeme und künstliche Intelligenz bieten die Chancen, aus eigenen Erfahrungswerten (und -daten) zu lernen und diese Erkenntnisse zu nutzen, um sich zu entwickeln. Heute betrifft dies vor allem Unternehmen, die sich in diesem Kontext mit Themen wie big data, machine learning, AI, KI, augmented reality, smart dust, Neuromorphie, Blockchain etc. auseinandersetzen müssen. Diese Entwicklungen werden über kurz oder lang auch auf den Privatbereich ausstrahlen und unser aller Leben erneut verändern. So wie wir uns alle nicht vorstellen konnten, dass die Smartphones unsere Kommunikationsgewohnheiten komplett verändern würden, ist es heute schwer vorstellbar, dass die Mensch-Maschine-Kommunikation auf völlig andere Weise funktionieren wird.
Wir müssen uns aber darauf einstellen. Die beim Watson Summit gezeigten Use-Cases und Ideen für die Anwendung kognitiver Systeme zeichnen diesen Weg deutlich vor. Es ist absehbar, dass die ersten Unternehmen, die diese Technologien intensiv nutzen werden, deutlich größere Überlebenschancen haben werden als Unternehmen, die an ihre eigenen Ewigkeitsgarantien glauben.
Wir sind gespannt, wie die Entwicklung tatsächlich voran geht. Es bleibt zu hoffen, dass Politik und Unternehmen die Zeichen richtig deuten und die notwendigen Initiativen ergreifen, um auf die Überholspur zu kommen.